1. Sinfoniekonzert am 15.11.2024

Im rasenden Rausch russischer Romantik

Sinfonieorchester am Ernst-Barlach-Gymnasium Kiel misst sich an Tschaikowskys Vierter Symphonie

2023 10 Sinfonie Konzert Poster Web

Von Christian Strehk

Kiel. Qualifizierter Musikunterricht in den Schulen ist landauf, landab längst eine Rarität; der öffentlich-rechtliche Rundfunk dudelt selbst in seinem Kultursender alles Mögliche; und das SHMF gibt sich als rein spaßbetonter Gemischtwarenladen. Sich mit dieser Abendland-Depression bei trübstem November-Wetter in ein Konzert mit Tschaikowskys f-Moll-Symphonie zu setzen, erscheint passend niederschmetternd.

Aber siehe da, versammeln sich in der gut besuchten Petruskirche anstelle von ausstudierten Profis über sechzig Schülerinnen und Schüler auf der Bühne. Und die führen konzentriert und hochmotiviert vor, was bei konsequenter Akzentsetzung in einem schulischen Musikzweig möglich ist. Im Laufe der "Vierten" spielt das Sinfonieorchester am Ernst-Barlach-Orchester unter der Leitung von Alexander Mottok in einen nahezu romantischen Rausch. Das Andantino fließt, das Walzer-Scherzo frappiert, das Finale eskaliert. Die Hörner setzen sich maximalkräftig durch, das Schlagwerk donnert, der neue Blechschmuck der Streicher badet in den schönen Stellen. "Bemühe dich, leichte Stücke gut und schön zu spielen; es ist besser, als schwere mittelmäßig vorzutragen", hatte der Kollege Schumann gewarnt, könnte mit seiner Lebensregel hier aber allenfalls den besonders gefährlich hakeligen Kopfsatz bemäkeln. Wobei das jetzt Profisensemble an den Rand ihrer Möglichkeiten drängt.

Mottok hat im Probenjahr jedenfalls ganze Probenarbeit geleistet und belohnt sich als Zugabe mit einer filmmusikalischen Eigenkomposition, dem "Septem Sacramenta". Das Publikum war sowieso "im Film", hatte doch dem psychisch gefährdeten Tschaikowsky und seiner auf Abstand gehaltenen Muse Nadeshda von Meck gehuldigt. Schick historisierend halb szenisch dargestellt als korrespondierende Freunde mit Schreibfeder (Titus Stürze) und in Robe (Eva Kirchner) lasen Richard Ludewig und Paulina Meder konkret musikbezogene Briefstellen. Das Orchester tippte dazu die benannten Themenstellen an – gelungene Musikvermittlung!

Von der Tschaikowsky hat sich die unerschrockene Schar schon getreu dem Goethe-Motto "...Himmelhoch jauchzend..." ins Getöse von Paul Hindemiths "Ragtime (wohltemperiert)" nach einer Fuge von Bach gestürzt. Und den allerschönsten Moment des Konzerts kreiert: Jean Sibelius' "Valse triste" betört höchst einfühlsam "...zu Tode betrübt".

 

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