Kasimir und Karoline |
Sonnabend, 19. März 2005 u. a. • jew. 20.00 Uhr • Werftparktheater |
Schauspiel von Ödön von Horváth. Projekt im Werftparktheater in Kooperation mit dem Sinfonieorchester am Ernst-Barlach-Gymnasium und der Schule für Schauspiel Kiel. |
Regie: Uwe Schwarz Ausstattung: Sibylle Meyer |
Kieler Nachrichten von Montag, 21. März 2005:
Uwe Schwarz inszeniert Horváths Kasimir und Karoline als Theaterspektakel
Ein Prosit der Gemütlichkeit! Im Theater im Werftpark gaukeln bunte Lichterketten weiß-blaue Girlanden und Fahnen einen Oktoberfesthimmel über den Saal, überall tönt Remmidemmi und Jahrmarktsgedudel, Wiesenbesucher wueseln herum und die Leute sitzen an langen Biertischen - ohne Bier. Sie sind ja auch nur Publikum in einem Volksstück, in Ödön von Horváths Kasimir und Karoline, von Regisseur Uwe Schwarz, Ausstatterin Sibylle Meyer und Theatermusiker Thomas Wolter unter Aufbietung aller krestiven Kräfte putzmunter in Szene gesetzt.
Einer freilich ist angeschmiert bei dieser Mordsgaudi: Kasimir war gestern noch Chauffeur, aber heute ist er abgebaut, also arbeitslos. Und Karoline, sen festes Verhältnis, lässt ihn einfach stehen, weil sie eine Wiesenbraut ist, ein Fräulein also, das sich einfach amüsieren will. Vielleicht aber auch weil sie gerade feststellt, dass "wir zu schwer füreinander sind". Oder vielleicht auch weil der Zuschneider Schürzinger, ein Zufallsbekannter, doch recht hat mit seiner Feststellung: Wenn der Mann arbeitslos wird, "dann lässt die Liebe nach, und zwar automatisch". Jedenfalls sollte der Kasimir besser heimgehen, tut es aber nicht. Stattdessen schaut er zu, wie seine Karoline erst mit dem Schürzinger geht und sich dann sogar zwei besseren Herrn an den Hals wirft, dem Kommerzienrat Rauch und dem Landgerichtsdirektor Speer. So traurig das auch enden wird.
In Zeiten von Hartz IV sei das Stück aus dem Jahre 1932 aktueller denn je, meint man im Theater im Werftpark. Das mag den Regisseur Uwe Schwarz bewogen haben, den Stoff mit einer wahren Ausdruckswut in die höchste Deutlichkeit zu treiben, bis es eben, wie bei einem Hau-den-Lukas, beim Zuschauer klingelt. Das Orchester des Ernst-Barlach-Gymnasiums unter der Leitung von Neil Fellows als schräge Zirkuskapelle, eine knackig-rockende Schülerband, ein Schießbudenpianist (Martin Friederichs), ein aufgekratzter Akkordeonist (Tom Keller), eine wehmütige Drehorgelspielerin, die Protagonisten als scheiternde Karaoke-Sänger - Musik ist überall, aber nicht nur da, wo Horváth sie dramaturgisch bedacht gesetzt hat. Soll und das signalisieren, dass inzwischen der Mensch mit seinem Einzelschicksal untergeht in einer ewig aufgeregt tönenden Amüsiermaschine? Genauso, wie die Abnormitäten, die Uwe Schwarz (mit eigenen Texten) präsentiert, nicht mehr wie bei Horváth Verirrungen der Natur sind, sondern marktschreierisch ausgestellte Abfallprodukte der Leistungsgesellschaft.
So sehr Schwarz beim bombastischen Drumherum mit Bild (Sibylle Meyer) und Ton (Thomas Wolter) in Gefahr gerät, ins Milieuhafte zu rutschen und dabei Horváth gründlich zu verfehlen, so sicher trifft er mit seiner genauen Personenführung und der pointierten Dialogregie die Absicht des Autors, im Spiel unterschiedliche Grade der Stilisierung zu zeigen. So gelingen nahe an der Realität Kati Lutie Stüdemann eine von törichter Lebensgier getriebene Karoline und Eirik Behrendt ein schwerer, gedankentiefer Kasimir. Dank Matisek Brockhues bleibt der Schürzinger so ein wunderbar merkwürdiger Mensch, und Ritta Kristensen holt aus der harten, leidensfähigen Erna eine bewundernswert weiche Seele.
Krasser, eindeutiger gestalten Nickel Bösenberg den schneidigen Gauner Merkl Franz, Tom Keller den großspurigen Rauch und Horst Stenzel den schwadronierenden Speer, während Christiane Schulz und Anne Diedering Elli und Maria als zwei gnadenlos amüsierwütige Girlies durchs Gelände hüpfen lassen. Sie schärfen ihre Talente gegenwärtig an der Kieler Schule für Schauspiel, ebenso Tina Lorenzen, Linda Stach, Thomas Bosch und Christian Ramcke, die sich in vielen, knapp skizzierten Figuren zeigen.
Zum Weitersagen: Es geht was ab im Werftpark, wo das ganze Haus mit Hochdruck eine Wiesn-Gaudi auf die Bretter wuchtet, ein Theaterspektakel, das allmählich immer schmaler wird und darum auf unheimlich amüsante Weise dann doch noch von der Arbeitslosigkeit und ihren Folgen für die Liebe handelt. So gesehen: Ganz gut, dass die Leute kein Bier kriegen, sie könnten sonst den Überblick und damit den Horváth aus den Augen verlieren.
Christoph Munk