1. Sinfoniekonzert | |
Montag, 12. Juni 2006 • 20.00 Uhr • Konzertsaal im Schloss | |
Ralph Vaughan-Williams | "The Lark Ascending" - Romanze für Violine und Orchester* |
Wilhelm Kaiser-Lindemann | "Vier Schleswig-Holstein-Bilder" für Chor, Orchester und Orgel F-Dur op. 38 (Uraufführung einer Auftragskomposition)† |
Carl Orff | Carmina Burana "Cantiones Profanae" für Chor und Orchester |
* Solistin: Malwina Bernagiewicz, Violine | |
† Choreinstudierung: Sebastian Klingenberg |
Kieler Nachrichten von Mittwoch, 14. Juni 2006:
Das Übersichhinauswachsen gehört schon seit längerem zum Kernrepertoire des Sinfonieorchesters am Ernst-Barlach-Gymnasium Kiel. Der Dirigent Neil Fellows setzt diese Tradition ungebremst fort und sucht zudem den Schulterschluss mit den von Sebastian Klingenberg effektiv gebündelten Chören an der Musikzweig-Institution. Dass sich die Zusammenarbeit jüngst zum 40-jährigen Jubiläum der Schule in eine Art Carmina Burana-Rausch steigerte, davon war an dieser Stelle schon hymnisch die Rede. Und obwohl das Kieler Schloss nun bei der Wiederholung es schwerer als das kompaktere Opernhaus machte, die vereinigten Massen auf den Orff-Punkt zu bringen, zeigte sich das Publikum zurecht erneut sehr begeistert.
Der noch größere Kraftakt lag da schon hinter den Beteiligten: Wilhelm Kaiser-Lindemann, seit den 70er-Jahren eine beachtliche und womöglich noch zu wenig beachtete Komponistengröße in Schleswig-Holstein, hatte den EBG-Ensembles die Uraufführung seiner 6. Sinfonie op. 38 für Chor, Orgel und Orchester anvertraut und zugetraut. Die drei darin in programmatischen Einzelsätzen gefassten Schleswig-Holstein-Bilder forderten die überwiegend jungen Instrumentalisten und Stimmen extrem – und in ganz unterschiedlicher Weise. Der schroffe, Barlachs Geistkämpfer-Skulptur gewidmete Kopfsatz ficht in postmahleresken Kontrasten den Konflikt zwischen Gut und Böse aus und (ver)klärt sich in engelhaften Vokalisen des klanglich schön eingebetteten Chores. Schon da und vermehrt durch den Einsatz der Orgel, die der Komponist selber bediente, mischt sich die französische Tradition à la Ravel, Widor oder Messiaen ins gewaltige Klangbild. Im Mittelsatz, der historisierende Tänzchen in schleswig-holsteinischen Herrenhäusern effektvoll rhythmisiert, um dann tutti-orgelnd die hallige Backsteingotik der Dome aufzurufen, wird das altfranzösisch Adlige konkret in zwei Frauenstimmen-Soli, hier betörend natürlich und sicher gesungen von Elisabeth von Stritzky (Sopran) und Christine Lange (Mezzo).
Kaiser-Lindemanns große Stärke, mit den Mischklang-Möglichkeiten des Orchesters magisch spielen zu können, gipfelt verhalten, aber gänsehautverdächtig: im unwirklich nächtlichen Glitzern einer Wattwanderung zur Geisterstunde. Viel Beifall gab es deshalb für eine Musik, die tonmalerisch auf den Hörer zugeht, sich dabei aber eigentlich nie vordergründig anbiedert, sondern stolz eigenständig, kunstvoll und häufig genug auch sperrig "modern" bleibt.
Zuvor hatte die Konzertmeisterin des EBG-Orchesters, die 18-jährige Unterprimanerin Malwina Bernagiewicz, den Solo-Part in Ralph Vaughan Williams Romanze The Lark Ascending leuchtend klar und ausgesprochen schön zelebriert. Umschauert von zart britisch-impressionistischen Orchesterklängen gelang ihr der Beweis: Es war diesmal die Lerche und nicht die Nachtigall, die Glück verhieß.
Christian Strehk